Denk mal!

Der Wahlpflichtkurs II des 10. Jahrgangs beschäftigt sich mit den Denkmälern zum 1. und 2. Weltkrieg in Ratekau.
Zum Kurs gehören: Mariejana Bosau, Jette Flebbe, Carlotte Hogreve, Alexander Knop, Fynn Lüneburg, Marleen Mrowka, Meico Rerop, Amelie Schlichting, Lea Sophie Westphal und Leonie Wittmer.

Zeitungsartikel aus der LN vom 15/16. November 2020 (mit freundlicher Genehmigung der Redakteurin Frau Latzel)

Gedenken am Volkstrauertag: Denkmäler in Ratekau in der Kritik

08:00 15.11.2020

Volkstrauertag Weltkriegsgedenken: Denkmäler in Ratekau in der Kritik

Ein Ehrengrab mit Stahlhelm, eine fragwürdige Inschrift vor der Kirche: Diese Form des Gedenkens kritisieren die Teilnehmer eines Schulprojektes in Ratekau. Sie schlagen Veränderungen vor.

Das Ehrengrab auf dem Ratekauer Friedhof erinnert an „acht tapfere Deutsche“, davor ist ein Stahlhelm auf dem Boden montiert. Jetzt gibt es Initiativen zur Veränderung dieser Gedenkstätte. Quelle: Sabine Latzel

Ratekau

Wie umgehen mit dem Gedenken an die beiden Weltkriege? Diese Frage beschäftigt engagierte Menschen in Ratekau. Dabei stehen das Ehrengrab auf dem Ratekauer Friedhof und die Gedenkstätte am Aufgang zur Feldsteinkirche im Zentrum – und in der Kritik. Veränderungen regen die Beteiligten eines Schulprojektes an, Pastorin und Bürgermeister zeigen sich dem gegenüber aufgeschlossen.

Schüler der zehnten Klasse beschäftigen sich mit dem Gedenken

„Passt das noch in die heutige Zeit, zu einem friedlichen Miteinander in der Welt ohne Rachegedanken?“, fragt Günter Knebel, Lehrer für Geschichte und Wirtschaftspolitik an der Cesar-Klein-Schule in Ratekau. Er hat sich mit zehn Schülerinnen und Schülern des zehnten Jahrganges in einem Wahlpflichtkursus mit den Denkmälern zu den Weltkriegen in Ratekau auseinander gesetzt – und mit der Erinnerungskultur am Volkstrauertag.

Der Geschichtslehrer Günter Knebel leitet den Wahlfplichtkursus „Denk mal“ an der Cesar-Klein-Schule in Ratekau. Quelle: Sabine Latzel

Das Ehrengrab auf dem Friedhof wurde vermutlich in den 1950er-Jahren geschaffen: ein Grabstein mit einem Eisernen Kreuz und der Inschrift „Hier ruhen acht tapfere Deutsche, die am 2. Mai 1945 für das Vaterland gefallen sind“. Davor ist ein Stahlhelm montiert, links und rechts des großen Steines befinden sich neun kleinere mit Namen oder für unbekannte Tote. „Es gibt viele Ungereimtheiten“, sagt Günter Knebel. „Angeblich liegen dort acht ,tapfere Deutsche’, aber es sind eben neun Steine, darunter welche mit den Namen eines jungen Belgiers, einer jungen Rumänin und eines 75-jährigen Fremdarbeiters.“ Offenbar handele es sich insgesamt um Menschen, die auf der Landstraße zwischen Techau und Pansdorf bei einem Fliegerangriff umkamen, „die aber nicht oder nicht alle freiwillig für das sogenannte Vaterland gekämpft haben“.

Einer der kleineren Steine am Ratekauer Ehrengrab erinnert an „Jean van Dame“, korrekte Schreibweise: Jean van Damme, einen 19-jährigen Belgier. Er gehörte nach Recherchen von Günter Knebel zur „Organisation Todt“, eine NS-Bauorganisation, für die auch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter rekrutiert wurden. Quelle: Sabine Latzel

„Bedenkliche Inschrift“ unter Eisernem Kreuz vor der Kirche

Bereits nach dem Ersten Weltkrieg wurden die beiden steinernen Eisernen Kreuze vor dem Portal der Feldsteinkirche errichtet, erklärt Knebel. Eine der Inschriften unter diesen Kreuzen findet er besonders bedenklich: „So selig ist kein Los, so heilig kein Gebet, als sich für vieler Leben zu geben in den Tod, 1914 – 1918.“ Außen an der Kirche und in den Steinen der Mauer rundherum sind die Namen von Gefallenen aus der Region verewigt.

Links und rechts des Eingangs zur Ratekauer Feldsteinkirche stehen die Eisernen Kreuze mit Inschriften, die den Gefallenen des Ersten Weltkrieges gewidmet sind. Quelle: Sabine Latzel

Auffällig ist auch die Gestaltung der beiden Mauern links und rechts vom Aufgang zur Kirche. In einige Steine sind die Namen ehemaliger deutscher Ostgebiete gemeißelt, eine Inschrift lautet „Den Toten der Heimat zum Gedenken / den Lebenden zur Mahnung“. Über mehreren – christlichen – Kreuzen steht ein Vers aus dem Johannes-Evangelium: „Ich lebe und ihr sollt auch leben.“ Gestaltet wurde dieses Spalier anlässlich der 800-Jahr-Feier in Ratekau 1956, berichtet Knebel, „und zwar unter der Federführung des damaligen Pastors Joachim Hossenfelder“. Dieser trat 1929 der NSDAP bei, war 1933 Reichsleiter der antisemitischen Glaubensbewegung „Deutsche Christen“ und nach dem Krieg von 1954 bis 1969 Pfarrer in Ratekau.

Dieses Gedenken an die Toten des Zweiten Weltkrieges findet sich ebenfalls vor der Ratekauer Kirche. Quelle: Sabine Latzel

Schüler schlagen ergänzende Informationstafeln vor

Zur Entstehung der Gedenkstätte haben die Schülerinnen und Schüler des Wahlpflichtkursus’ „Denk mal“ in den Protokollen damaliger Gemeindevertretersitzungen recherchiert. „Die Denkmäler wirken teilweise kriegsverherrlichend, und sie sind nicht mehr zeitgemäß“, findet Amelie Schlichting (15). „Man könnte ja auch der Soldaten gedenken, ohne die anderen Menschen, die ebenfalls im Krieg gestorben sind, außen vor zu lassen.“ Sie regt eine Ergänzung mit Informationstafeln an. „Auf den Tafeln könnten auch Fragen stehen, die zum Nachdenken anregen“, meint die gleichaltrige Carlotta Hogreve. „Denn gerade jüngere Leute machen sich kaum Gedanken zu diesen Denkmälern.“

Die Schüler der Cesar-Klein-Schule recherchierten in alten Protokollen von Gemeindevertretersitzungen, hier die 15-jährige Amelie Schlichting. Quelle: Günter Knebel (hfr)

„Eine tolle Sache“ sei das Projekt der Schule, erklärt die Ratekauer Pastorin Anke Dittmann. Sie habe schon vor 20 Jahren begonnen, sich mit der Erinnerungskultur in der Gemeinde zu beschäftigen. Unter anderem seien am Volkstrauertag auch die Namen von 22 Holocaust-Opfern verlesen worden – Sinti und Roma, die auf dem Ratekauer Friedhof beigesetzt sind. Zum Volkstrauertag 2014 wurde eine Ausstellung zum Ersten Weltkrieg gezeigt. „Ein Heldengedenken findet schon lange nicht mehr statt“, sagt die Pastorin. Weitere Veränderungen seien denkbar, gleichzeitig müsse man aber bedenken, „dass die emotionale Lage damals anders war, das müssen wir auch respektieren“.

„Zivile Würdigung“ anstelle des Marsches in Uniform

Günter Knebel regt eine „zivile Würdigung aller Toten am Volkstrauertag“ an und stellt den sonst üblichen uniformierten Marsch der Soldatenvereinigung „Kyffhäuserbund“ infrage. „Die Bundeswehr bewegt sich schon“, sagt er: „Sie verzichtet ab sofort auf die Präsentation von Sturmgewehren bei der Ehrenwache vor der Kirche und auf dem Friedhof.“

„Die Diskussion beginnt auch bei uns“, berichtet Ratekaus Bürgermeister Thomas Keller (parteilos). Für den Dezember sei eine Informationsveranstaltung per Video-Konferenz geplant, an der auch die Schüler teilnehmen sollen. „Es stellt sich generell die Frage, wie die Gedenkstätten aus heutiger Sicht zu bewerten sind“, meint Keller. Die Gemeinde stehe Vorschlägen zur Veränderung auf jeden Fall aufgeschlossen gegenüber. Eine ähnliche Debatte hat der neue Pastor von Timmendorfer Strand vor einigen Wochen angestoßen.

Das Gedenken am Volkstrauertag 2020 am Sonntag, 15. November, findet allerdings ohnehin wegen der Corona-Maßnahmen nur eingeschränkt statt. Öffentliche Versammlungen oder Aufmärsche mit mehr als zehn Personen sind nicht erlaubt. In Ratekau werden – wie in den meisten Gemeinden – deshalb nur Kränze ohne offiziellen Akt niedergelegt. Zudem laden die Kirchen zu Gottesdiensten ein, so auch die Ratekauer und die Pansdorfer Kirche.

LN-Artikel-Denk-Mal