Ein schlechterer Gitarrist als sein Vater ist Kai Degenhardt ganz sicher nicht (Rolf Becker sagte eher ein besserer). Und Rolf Becker ist ein Schauspieler mit entschieden politischer Haltung. Beide kamen am Donnerstagabend in die Cesar-Klein-Schule Ratekau um an den Liedermacher Franz Josef Degenhardt zu erinnern und in seinem Namen gegen die Wiederkehr der rechten Haltung in Europa anzutreten: »Wölfe mitten im Mai – gegen den rechten Aufmarsch in Europa« lautet der Titel dieses Abends – Zeile eines Degenhardt-Liedes, aktueller denn je. Jenes andere Lied, an das jeder denkt, wenn er den Namen Franz Josef Degenhardt hört, kommt hier erst als Zugabe: »Spiel nicht mit den Schmuddelkindern«, eine Erzählung vom Nachkriegsdeutschland; ein Lied von Wirtschaftswunder und Klassengesellschaft, feinfühlig und böse erzählt. Kai Degenhardt, der seinen Vater oft begleitete, singt es mit sanfter Stimme. Ein gutes Dutzend Stücke seines Vaters trägt er, selbst lange schon erfolgreicher Musiker, an diesem Abend vor – oft hält er sich im Hintergrund, überlässt Rolf Becker die Bühne.
Fakten und Zeitzeugen
Becker hat sich seit jeher politisch deutlich links positioniert. Er ist der Vater Ben Beckers, ist ein großer deutscher Schauspieler, bekannt von der Bühne, vom Film – als Darsteller in deutschen Autorenfilmen der 1970er-Jahre, aber auch in jüngeren Filmen. Er spricht großartig, klar und engagiert, zitiert immer wieder Degenhardt, Brecht und u.a., auch Zeitzeugen und die Fakten der Zeitgeschichte. Einmal stülpt er sich den Hut über und schlüpft in die Rolle eines alten Herrn, der sich wieder obenauf fühlt in den frühen 80ern, als der Neoliberalismus um sich greift: »Die Leute von gestern denken wieder an morgen.« Becker und Degenhardt erzählen deutsche Nachkriegsgeschichte aus einem anderen Blickwinkel. Becker liest erst ein Kapitel aus Franz Josef Degenhardts autobiografischem Roman »Zündschnüre«; es handelt davon, wie sich Jugendliche der Arbeiterklasse im Ruhrpott der Hitlerjugend erwehrten. Dann erzählt er von 1968, von der außerparlamentarischen Opposition jener Jahre. Er lässt Figuren erstehen, die frohlockten, als in der Pogromnacht das Glas zerbrach; er blendet über ins Lübeck des Jahres 1994, in dem wieder eine Synagoge brennt und Flüchtlinge in der Hafenstraße sterben. All dies mit großer, lebhafter Geste, einer sicheren, nuancierten Stimme, die Bestürzung, Empörung, Hoffnung und die Fragen der Zukunft und Vergangenheit transportiert. Dann wieder tritt Kai Degenhardt hervor und singt ein Lied seines Vaters, das nicht gemütlich, und nicht von gestern ist.
Fragen an die Deutschen
Becker und Degenhardt befragen sehr eindringlich das politische Bewusstsein der Deutschen. Letztlich geht es an diesem Abend um Kontinuität, um das Weitererzählen, das Weitersingen von
Liedern wie jenen von Degenhardt Vater, der in den späten 70ern als Kommunist totgeschwiegen wurde, 2011 schließlich starb. »Wo sind eure Lieder?«, fragt er selbst die Deutschen der Nachkriegsgeneration. Vom Nationalsozialismus missbraucht, blieben sie den Deutschen zu lange in der Kehle stecken.
Kai Degenhardt und RolfAu Becker – zwei große Künstler im “kleinen Ratekau“.
Autor: G. Knebel
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